Altes Zeugs (I)

Vor einigen Tagen stand ich bei einem Pokalspiel auf dem Platz. Es hatte 32°C im Schatten (welcher auf dem Feld natürlich nicht zu finden war) und im Anschluss fühlte ich mich locker zehn Jahre älter. Selber Schuld, was muss ich mir auch so ein Hobby zulegen? Jedenfalls hatte ich dadurch mal richtig Lust auf ein paar Whiskys, die noch älter sind als ich, solange das noch zu einigermaßen vertretbaren Preisen möglich ist. Da ich zu den Spätberufenen gehöre, die die günstigeren Zeiten verpasst haben, bin ich denjenigen, die gelegentlich einen ihrer alten Schätze teilen, sehr dankbar.

Der erste Kandidat führt uns auch gleich in die 60er zurück, in eine Phase also, in der aufgrund des raschen Wachstums der Blendindustrie vermehrt neue Produktionskapazitäten geschaffen wurden. Da bei Blendkomponenten etwas andere Qualitäten gefragt sind, als bei Bränden, die für die Abfüllung als Single Malt vorgesehen sind, bin ich auf einen kurz nach der Brennereigründung destillierten Tamnavulin gespannt. Mal sehen, inwiefern sich der eher leichte und trockene Stil, wie Tamnavulin ihn verspricht, nach 43 Jahren Lagerung gegenüber den Fasseinflüssen behaupten kann.

Tamnavulin 1967 The Whisky Agency

Eine Flasche Tamnavulin 1967

Bourbon Hogshead bis 2010 / 41,0%Vol. / Link zur Whiskybase

Nose: Der Bourboneinfluss ist wirklich auf den Punkt perfekt, keinesfalls zu stark, und auch das Eichenholz kann mit Maß und Ausgewogenheit punkten. Dazu die süßen Noten einer alten, verstaubten Bienenwachskerze. Weiche Vanille macht sich breit, zusammen mit reifen Aprikosen und Grapefruits. (88)

Taste: Hier ist er ebenfalls leicht und weich, die Bourbonaromen spielen wieder mit und die Eiche hat an Würze hinzugewonnen. Wachsig in der Textur, die Bienen waren fleißig. Nussig mit Zartbitterschokolade, hie und da eine gelbe Frucht. (85)

Finish: Zimt und Kakao belegen zu Beginn die Mundhöhle. Würziges Eichenholz wird von grasigen und bourbonesken Elementen begleitet. Verschwindet sanft mit Wachs und Nüssen. (85)

Fazit: Durch die geringe Trinkstärke recht filigran, im Gegenzug aber auch sehr ausbalanciert. Die lange Reifezeit sieht man ihm nicht so sehr an und was mir streckenweise fehlt ist die Komplexität.

The Scotch Malt Whisky Society vergibt ihren Abfüllungen ja immer Beinamen, die kurz und treffend den Inhalt beschreiben sollen. Dieser Glen Moray aus den 80ern heißt „Midnight marmalade“, was bei mir Assoziationen von nächtlichem Heißhunger hervorruft. Im Dunkeln und im Schlafanzug sämtliche Kühlschrankfächer nach was zum Schnabulieren durchsuchen, und nachher gemütlich und zufrieden die Reste eines Marmeladenglases in einer lauen Sommernacht auf dem Balkon auslöffeln.

Glen Moray 1986 SMWS 35.264

Eine Flasche Glen Moray 1986 in einer Holzkiste

31 yrs Bourbon Cask + 2yrs Finish in a 1st Fill Oloroso Sherry Hogshead / 46,1%Vol. / Link zur Whiskybase

Nose: Scheint Pflaumenmarmelade zu sein. Und der Oloroso von der nussigen und fruchtigen Sorte, ausgesprochen klebrig und feucht. Datteln, Kirschen finden sich auch, und eine einzelne, mit leicht salziger Sojasauce beträufelte, getrocknete Feige. Das Eichenholz ist dezent und würzig, hat leider auch eine mineralische Hefenote, die da nicht recht reinpassen will. (85)

Taste: Der Antritt ist enttäuschend: Flach und stumpf mit Gerstenmalz und Getreideähren, darauf wurde Billig-Sherry gesetzt. Später kommen noch Zimt und würziges Eichenholz sowie Marzipan, Melasse und Tabak. (78)

Finish: Und dann auch noch Schwefel, nicht viel zum Glück. Leicht säuerlicher Sherry mit Nüssen, die Marmelade blitzt gelegentlich auf. Hintenraus leicht grasig und malzig mit Puderzucker und Tabak. (77)

Fazit: Puh, dem muss ich die rote Karte zeigen, bei dem Ausgabepreis. Die 218 abgefüllten Flaschen wurden, glaub ich, für umgerechnet etwa 370 € unter die Leute gebracht. Da erwartet man mehr. Das Alter merkt man nur vereinzelt, außerdem ist der Alkohol nicht gut eingebunden. Sorry, aber da fehlt’s hinten und vorne, auch so ein Finish bringt da nix mehr. Wobei… das Sample ist aus einer Flasche, die bedingt durch Brexit-Wirren 6 Monate lang verschollen im Nirgendwo rumgegurkt ist – vielleicht ist der Whisky reisekrank geworden?

Als nächstes einen Stern am Whiskyhimmel, zumindest vom Namen her. Einen 40-jähriger Blend bekommt man auch nicht alle Tage ins Glas, der unabhängige Abfüller ‚North Star Spirits‘ kann das möglich machen:

Vega 1977 North Star Spirits

Eine Flasche Vega 1977 von North Star Spirits

Spanish & American Oak, Oktober 1977 – Januar 2018 / 43,1%Vol. / Link zur Whiskybase

Nose: Der hat Sherry gesehen und dieser kriecht nun zäh und klebrig aus dem Glas: Orangensirup, Rosinen und Datteln, die Aromen stehen dicht an dicht, eingehüllt in Wachs und Öl. Eine prickelnde Würze kitzelt konstant die Nase und dann ist plötzlich Zartbitterschokolade da. Und geht nicht mehr. Macht sich aber auch gut mit den Aprikosen, Mandarinen und Nüssen. Geröstetes Eichenholz und Tabak in Honig, auch schön. (90)

Taste: Sherry, Zartbitterschokolade und Gerstenmalz tanzen miteinander in klebrigem Karamell. Zimt und Tabak steigen mit ein, die Eiche sieht auch nicht nur zu. Nussiger Espresso mit feiner, erdiger Säure, dahinter liegen Gewürze und ein Hauch Minze. (88)

Finish: Sanfte Würze von Eichenholz und Zimt, leicht schokoladig und grasig. Wärmende Sherryakzente, gesalzene Nüsse und erdige Wachstöne begleiten den langen Weg hinaus. Zwischendurch Schwefel. (87)

Fazit: Nach vier Jahrzehnten immer noch sehr frisch und lebendig, in der Nase gibt’s so viel zu entdecken, dass eine Stunde gleich rum ist. Im weiteren Verlauf kann er das Niveau nicht ganz halten, man merkt ihm das Alter zwar an, aber er kommt teils unrund daher. Vom anderen Stern ist er nicht.

Apropos ‚Blend‘ – ich hätte da noch ein einfaches Rezept, kann eigentlich jeder ganz einfach zu Hause nachmachen: Man nehme je ein Fass 69er Bowmore, 68er Bunnahabhain und 66er Bruichladdich und mische den Inhalt sorgfältig in einem großen Behältnis, ergibt dann geschmeidige 1.200 Flaschen ‚Vatted Malt Scotch‘ und 5 Sterne auf www.hiergibtsrezepte.de. Was nach Verschwendung klingt, hat Murray McDavid in 2005 gemacht (oder etwas eher, man ist sich nicht sicher). Grund war wohl, dass Bunna und Bowie unter die für Whisky unabdingbaren 40% gefallen sind, der Laddie ist eingesprungen und hat knapp gerettet.

Islay Trilogy 1969 Murry McDavid

69er Bowmore Bourbon Cask & 68er Bunnahabhain Sherry Cask & 66er Bruichladdich Bourbon Cask, abgefüllt 2005 / 40,3%Vol. / Link zur Whiskybase

Nose: Blütenhonig und Bienenwachs, beides ganz leicht angestaubt und angeascht, sind in einen karamellbekleideten Topf gekochter Pflaumen, Kirschen und roter Beeren gefallen. Wir geben das Mark einer Vanilleschote bei und heben einen großzügigen Schuss alten Sherry unter. Garniert wird mit fein gehackten Haselnüssen und geschmolzenen Äpfeln. Mangokompott und eine Prise Salz nicht vergessen, verträgt sich nämlich hervorragend mit den Umami- und Eichenholztönen! (91)

Taste: Man spürt das Alter, das Eichenholz ist da und auch Kakao mit Zimt und Nelke, trocken und wachsig kommt er daher mit Spuren von Pfeffer und Gerstenmalz. Der Rauch ist fast völlig abgebaut, nur noch in staubigen Restbeständen übrig, Tabak und Vanille leisten ihm Gesellschaft. Fantastische gelbe Früchte und Walnüsse, alles super integriert. (89)

Finish: Kalte Asche und prickelndes Malz, verspieltes Eichenholz mit Nelke und Zimt. Das ganze hat einen grasigen Touch und wird von Kakaovariationen untermalt. Einen Moment später ist das Wachs wieder da, außerdem Kokos und Haselnuss. (89)

Fazit: Dass da was Gutes rauskommen würde, war klar, ich denke, da sind wir uns einig. Ein Profil, das man bei den heutigen Abfüllungen kaum mehr findet. Alles fein aufeinander abgestimmt mit wertigen Aromen. Gerne hätte er etwas mehr Power haben dürfen, ihm geht doch erstaunlich schnell die Puste aus, aber das ist eben dem niedrigen Alkoholgehalt geschuldet.

Den Rausschmeißer macht eine Originalabfüllung, eine glückliche Anschaffung aus der Zeit, in der ich noch nicht viel Ahnung vom Wasser des Lebens hatte und 30 Euro für mich eine Menge Geld für eine Mini waren. Was sagt der Bottlecode? Abgefüllt am 19.01.2013, also genug im Regal herumverstaubt worden…

Glenfarclas 40-year-old

Eine offizielles Sample des Glenfarclas 40-year-old

Oloroso Sherry Casks / 46,0%Vol. / Link zur Whiskybase

Nose: Trockenfrucht, Nuss, Eiche, Gewürze – Oloroso und Fassholz in einem Wechselspiel, dass es eine wahre Wonne ist. Karamell und Schokolade klopfen an. Nach einigen Minuten wird er richtig schön ölig und süß, in Rum eingelegte Kirschen, Datteln und Rosinen wabern durch’s Glas. Mango und Waldhonig bilden einen aromatischen Zweiklang, auch Vanille und Malz kann man finden. (92)

Taste: Viele Gewürze und altes Eichenholz, der Sherry lässt erstmal dem Kakao den Vortritt, mischt dann aber munter und wahnsinnig tropisch mit. Gerstenmalz und Leder bilden einen Konterpunkt, bevor dann nochmal Tabak und Espresso mit aller Kraft zuschlagen. Zu entdecken sind auch wachsige Waldhonignoten und in Karamell eingetauchte Haselnüsse. (92)

Finish: Der zieht wärmend und wachsig, richtig honigwabenartig, hinunter. Der höchst nussige Oloroso kann sich ganz gut gegen ein dickes Eichenholzbrett behaupten. Metallisch, fast schon blutverschmiertes Leder mit Mango. Dazu Spuren von schokoladigem Kakao und Tabak, mit Möbelpolitur klingt er aus. (91)

Fazit: Da zwickt nix. Das vielbesungene Flaggschiff kann von vorne bis hinten mit ausgereiften und nahezu perfekt aufeinander abgestimmten Eindrücken aufwarten. Zu lange, also mehr als eine Dreiviertelstunde, sollte er nicht im Glas stehen, da er sonst an (Ausdrucks-)Kraft und Komplexität einbüßt.

Okay, Alter ist nicht immer eine Garantie, dass ein Whisky schmeckt, so einfach ist die Formel nicht. Wenn ich meine Bewertung aus der Vergangenheit durchgehe, fällt trotzdem auf, dass ich die meisten der hohen Punktzahlen an volljährige Whiskys vergeben habe. Bedeutet also nichts Gutes für den Geldbeutel. Oder ich spiele mehr Fußball, dann bleibt weniger Zeit für Tastings und der Vorrat hält länger.

Eigene Flasche bzw. privat gekaufte Samples │ Bilder: Mit freundlicher Genehmigung von Forumskollegen bzw. eigene Anfertigung