Über 100 Jahre im Glas

Von Zeit zu Zeit bekomme ich die Chance wirklich besondere Abfüllungen zu probieren. Häufig passiert das auf den einschlägigen Messen, aber es kommt durchaus auch eine gewisse Menge durch die Community zustande. In Foren und sozialen Medien werden Flaschen geteilt und Samples getauscht. Ein großartiger Prozess, wenn man ehrlich ist, denn es ist natürlich weit leichter 35€ für ein Sample zu bezahlen, als in Unsicherheit eine ganze Flasche für 500€ und mehr.
So kommt auch der Flight heute zustande. Ein Sample ist aus einer Teilung von Christian, eines habe ich mir ertauscht, eines bei einem Händler gekauft. So ist es mir möglich mit größter Spannung auf 135 Jahre Whiskyreifung, verteilt auf drei Gläser, zu blicken. Darunter befinden sich zwei Blends und eines der vergessenen Fässer aus den 70ern.

A Dream of Scotland 1977 Brühler Whiskyhaus 

Nach 41 Jahren im Sherry Cask (ich glaube aber kaum Vollreifung) kommt dieser Blend in 218 Flaschen. Marco Bonn lässt den Red Zora genannten Blend aus der Speysdie mit 52,1% abfüllen. Link zur Whiskybase

Nase: Ein süßer Bratapfel, einige frische helle Früchte. Dazu eine Ecke Marzipan. Antikes Holz, mit Rosenwasser besprüht und ein uralter Balsamicoessig. Oh wow, das fängt gut an!

Mund: Er ist prickelnd und bissig, das Fass ist präsent. Dazu kommen Gewürze wie Zimt. Lässt man ihn kreisen wird er leicht süß und Zedern sowie frisch abgeschälte Rinde kommen hervor.

Abgang: Da sind die Äpfel wieder. Und jetzt auch Kirschen und Rosinen. Das Zedernholz glimmt jetzt in einem Kamin. Er hat eine schöne Länge und wird dabei ganz leicht bitter. Das ist schön akzentuiert.

Fazit: Das ist ein Brett! Nichts auszusetzen und er kann sowohl mit Vielschichtigkeit als auch Trinkigkeit punkten. Das Label im Pin-up Stil hat kontroverse Meinungen hervorgebracht, beim Trinkgenuss kann ich mir das kaum vorstellen. 91/100

Speyside Region 1973 Mancarella

Dino Mancarella lässt 2017 gerade mal 90 Flaschen dieses Single Cask mit 49,6% abfüllen. Es ist nicht bekannt aus welcher Destillerie er stammt, aber aus die Region ist Speyside und es handelt sich um ein Sherry Cask. Link zur Whiskybase

Nase: Zuerst mal strömt der Duft von Trockenfrüchten aus dem Glas. Rosinen, Aprikosen und Datteln. Dann kommt eine süße Vanillecreme. Als dritter Komponente finde ich noch frische aber reife Früchte: Schwarzkirsche und Pfirsich.

Mund: Der Antritt im Mund ist dann auch direkt fruchtig und auch süß. Er zwickt auch ein wenig, wenn man es zulässt. Ich habe Assoziationen zu dick eingekochter Marmelade oder Likör. Das passen dann die bitteren Nuancen auch gut als Ausgleich dazu.

Abgang: Der Abgang bringt eine cremige Schicht auf dem Gaumen auf. Diese ist süß, bitter und parfümiert. Ein kleines Pfirsich-Gutzi aus dem Süsswarenladen für Erwachsene.

Fazit: Ein wirklich toller Whisky und Dino kann sich wirklich glücklich schätzen, dass er an solches Fass gekommen ist (bzw. einen Teil davon?). Wäre das der erste Whisky, aus diesen erstaunlichen Fässern aus den 70ern, den ich je hatte, vielleicht wären sogar die 90 Punkte gefallen. Aber mir haben einige andere sogar noch besser geschmeckt. 89/100

Blended Scotch Whisky #1 That-Boutique-y Whisky Company

Batch 5 dieser Reihe des unabhängigen Abfüllers mit den lustigen Labels kommt mit 2000 0,5l Flaschen daher. Darin ist ein Blend mit 46,6%, dessen jüngster Bestandteil mindestens 50 Jahre auf dem Buckel hat! Gereift ist das ganze in Oak Casks – was auch immer das bedeutet. In der Whiskybase findet man Informationen, dass auch Grain beteiligt war, aber keine Quellen dazu. Wahrscheinlich kommt diese Vermutung durch die explizite Verwendung des Begriffs Blended Whisky statt Blended Malt (den es auch von TBWC gibt). Link zur Whiskybase

Nase: Ein wahres Feuerwerk in der Nase. Immer wieder steigen kleine Raketen mit neuen Aromen auf: Rum und Rosinen, würzige Komponenten, Süßigkeiten wie Zuckerstangen, Kirschen und Schokolade, Marzipan und Kaffee, trockener Rotwein mit Casisnoten. Wahnsinn.

Mund: Die Textur ist weich und samtig. Süße Kirschen streiten sich mit Eichenwürze um den Mundraum. Der lachende Dritte bleibt aber eine Kombination aus Blaubeeren und Haferkeksen.

Abgang: Nach dem Schlucken kommen die Rosinen wieder. Dazu auch noch Pflaumen. Mit der Zeit kommen ein paar Bitterstoffe und Tanine. Die Fässer zeigen Präsenz. Das letzte Wort behält für mich aber eine Art Crumble oder fester Kuchenteig.

Fazit: Den mochte ich sehr. Da hätte ich wahrscheinlich gerne mehr. In Würde gealtert, keine Eigenschaften die alles andere übertünchen. Trotzdem ausdrucksstark. Sehr, sehr lecker. 90/100

Erwartungen erfüllt? Erwartungen erfüllt!

Vollkommen klar, die Messlatte war hoch. Und sie konnten alle darüber hüpfen. Ziemlich beeindruckendes Zeug. Am besten hat mir der „Red Zora“ gefallen. Das ist wirklich, absolute Königsklasse für mich. Es sind zwar nur Nuancen die ihn von den anderen beiden trennen, aber die sind es vielleicht, was man in dieser (Preis-)Klasse sucht.

Bilder: Eigene Abfüllungen, Samples: siehe oben