Immer noch nicht überzeugt

Wie schon im ersten Teil angekündigt wollte ich ein weiteres Tasting bei Michael im Anderland machen. Mindestens um festzustellen ob meine Kritik dem Format, der Lokalität oder (was ich mir am wenigsten vorstellen konnte) dem Veranstalter gegenüber galt.

Mittlerweile war es soweit. In deutlich kleinerer Runde gab es fünf mal den unabhängigen Abfüller Cadenhead. Fünf mal aus dem Bourbon Fass, ohne weitere Nachreifung in Sherryfässern odgl. Insgesamt waren wir 12 Teilnehmer, mit dabei war auch Christian. Bei uns am Tisch waren noch zwei weitere Mittaster. Beide waren zwar jeder für sich recht speziell, aber beide auch sehr nett.

Die Vorraussetzungen waren also eigentlich sehr gut. Im Titel hab ich aber ja schon vorweg genommen, dass ich nicht ganz zufrieden mit dem Tasting war. Warum erkläre ich im Fazit. Jetzt sollen erst mal die Whiskys ihre berechtigte Bühne erhalten!

Mortlach 13 Jahre (2003), 46%, Cadenhead`s Small Batch, Bourbon Cask
Im Glas: dunkelblond
In der Nase: Jede Destille hat ein Grundprofil, ähnlich wie bei Rebsorten. Dieser Whisky ist ganz klar ein Mortlach, glaubt man der Nase. Ansonsten tut sich vor allem die Süße hervor.
Im Mund: Die Süße ist immer noch da, einige Bitterstoffe gesellen sich dazu. Es immer noch ein typischer Mortlach mit der Vanille aus dem Bourbonfass und ein paar Äpfeln
Abgang: Der Abgang ist malzig und cremig, hat ein wenig was von Milchschokolade
Mit Wasser: Er wird vollmundiger, die Süße ist fast weg
82/100

Glenlossie 21 Jahre (1993), 56,1%, Cadenhead`s Small Batch, Bourbon Hogsheads
Im Glas: Gold
In der Nase: So weit ich mich erinnern kann mein erster Glenlossie, deshalb ab ich hier natürlich auch kein Profil im sensorischen Gedächtnis. Im Geruch ist allerdings leider etwas Kleber/Lösungsmittel, also wahrscheinlich starker alkoholischer Dunst. Auf der positiven Seite finde ich Walnüsse, die in Butter oder Öl geschwenkt wurden.
Im Mund: Er ist erstaunlich trocken und bringt eine starke Marzipannote mit.
Abgang: Hier haben wir Toffee, Salz und Rhabarberkompott.
Mit Wasser: Er wird noch viel trockener, rote Früchte werden dominant. Salz und Toffee vereinen sich zu gesalzenem Toffee 😉
81/100

Tobermory 21 Jahre (1995), 53,8%, Cadenhead`s Authentic Collection, Bourbon Hogshead
Im Glas: helles Gold
In der Nase: Wir stehen erst in einem Orangenhain in voller Blüte. Einatmen, ausatmen. Jetzt hält mir jemand einen Beutel mit grünem Pfeffer vor die Nase. Einatmen, ausatmen. Das ist tatsächlich eine kleine Achterbahnfahrt für den Geruchsinn.
Im Mund: Auch dieser Whisky ist trocken. Etwas was man sonst eher bei sherry- oder weinfassgelagerten Abfüllungen findet. Insgesamt ist er durchaus malzig. Als weiteren dominanten Geschmack meine ich Rosenblätter zu identifizieren.
Abgang: Vor allem ist er sehr sehr lang. Ich glaube dieses trockene Gefühl würde für die Ewigkeit bleiben, wenn man nichts nachtrinkt.
Mit Wasser: Plötzlich ist da gewaltige Süße und die Rosenblätter wandeln sich in einen parfümierten Abgang.
83/100

Glenrothes 24 Jahre (1989), 56,9%, Cadenehead`s Small Batch, Bourbon Barrel
Im Glas: Weißwein
In der Nase: Vorsicht der beisst erst mal! Wenn er sich beruhigt hat ist da nasses Laub, Kiwi und Pflaume.
Im Mund: Ohne Vorwissen hätte ich ein Sherryfass vermutet. Rosinen, etwas Süße und die typischen Holznoten. Mit der Zeit kommt auch etwas laktisches dazu. Aber eher mild, wie bei Milch, nicht Jogurt oder gar Quark.
Abgang: Er hat eine angenehme Länge ist aber vielleicht etwas zu süß. Der Fruchtkorb bietet jetzt Kirschen und Johannisbeeren. Der Biss vom Anfang ist auch wieder da, ich würde sagen als weißer Pfeffer.
Mit Wasser: Der Sherry und die Milch werden zur Kinderschokolade. Der Abgang ist jetzt dafür extrem trocken.
84/100

Caol Ila 31 Jahre (1984) 52,1%, Cadenhead`s Small Batch, Bourbon Hogshead
Im Glas: Sehr heller Weißwein
Im Mund: Da ist vieles da, was man bei Islay Whiskys erwartet: Speck, Rauch und Torf. Fehlt vielleicht noch Asche und was medizinisches.
Im Mund: Wieder Rauch, Speck etwas weniger Torf.
Abgang: Ein paar Bitterstoffe, Speck und Rauch werden zu Rauchfleisch mit Honigkruste
Insgesamt ist das gut balanciert. Ein wenig zu gut vielleicht. Für einen alten Caol Ila fehlen mir hier deutlich die Zitrusnoten. Die 80er gelten allerdings generell nicht als Highlights in der Geschichte der Destille. Vielleicht war ein Small Batch mit überperfekter Balance das Beste was man aus diesen beiden Fässern rausholen konnte.
Mit Wasser: Im Mund wird er cremig, der Abgang dafür aber leider seifig. Finger weg vom Wasser bei diesem Whisky!
86/100

Als Zuschlag hat Michael noch eine Runde Edradour Sherry ausgegeben. Der hat mir insgesamt gut gefallen, irgendwo zwischen Kitkat und Hanuta. Ich will ihn aber nicht mehr im Details bewerten und beschreiben. War ja schließlich nicht im Thema (und die Sensorik auch schon ein wenig angeschlagen).

Fazit 1: Fünf gute Whiskys, fünf mal eine Bewertung über 80 Punkte. Das entspricht auch der Erfahrung mit Cadenhead. Da ist immer Qualität in der Flasche. Allerdings war in dieser Runde keine überragende Abfüllung dabei. Da war die Erwartung vor allem beim Glenrothes und beim Caol Ila sehr hoch. Der Mortlach sticht hier vielleicht noch am meisten heraus. Er ist mit 50€ sehr preiswert und trotzdem sehr lecker.

Fazit 2: Das Tasting hat natürlich Spaß gemacht. Eine nette Runde, Michael konnte sein solides Wissen gut anbringen.
Allerdings bin ich immer noch nicht begeistert. Vom Anderland nicht und auch generell nicht davon in Kneipen Tastings zu machen. Der Trubel drumherum und die Lautstärke tun schon nicht gut. Wenn dann noch jemand in der Runde eine Pizza bestellt, dann sind auch gleich der Geruchssinn dahin. Eine angenehmere Atmosphäre wäre wirklich besser. Nicht einschläfernd aber auch nicht so das die restlichen Sinne unter Dauerfeuer stehen.
Vom Versteigern der Reste bin ich auch überhaupt nicht überzeugt. Da kann gar nichts sinnvolles dabei rauskommen. Sah man auch an diesem Abend wieder: 4 von 5 Flaschen gingen an die gleiche Person. Der war bereit deutlich mehr zu zahlen als die Reste wert waren. Grundsätzlich ok, ist ja sein Problem. Aber so konnte quasi keiner der anderen 11 ein Andenken an den Abend mitnehmen.
Diesmal weniger Leute und kein komplett überfordertes Anderland-Personal, dafür aber auch kein Sales Representative im Kilt. Es bleibt einfach noch immer Luft nach oben. 6/10

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