Lost Rum
Nach meinen kürzlichen Rum-Experimenten (siehe hier bzw. hier) schiebe ich noch ein paar Besonderheiten hinterher.
Die Brennerei Enmore wurde in den 1880ern in Guyana gegründet und aus dieser Zeit stammt auch die letzte noch in Benutzung befindliche Coffey Still aus Holz. Ebenfalls besaß Enmore seit den 1970ern eine zu großen Teilen aus Holz gefertigte Pot Still, welche zuvor bei der Brennerei Versailles in Gebrauch gewesen war. Enmore selbst wurde 1994 geschlossen, die Stills jedoch werden heute noch von der Diamond Distillery betrieben, einem großen Brennereikomplex in Guyana. Die drei folgenden Enmore wurden aus Melasse hergestellt und auf besagter hölzernen Pot Still destilliert.
Enmore 1992 Flensburg 59,8%Vol.
Nach 27 Jahren Reifezeit in Großbritannien wurden in 2019 insgesamt 243 Flaschen abgefüllt, ohne Färbung oder anderen Zusätzen. Der Rum zeigt im Glas eine zutiefst rote Farbe, vielleicht wurde bereits zu Beginn der Fassreifung gefärbt? Wäre nicht untypisch…
Nose: Nach ein wenig Eingewöhnungszeit hat sich der Alkohol beruhigt und es entfaltet sich die ganze Pracht dieses alten Melassebrandes: Getrocknete Datteln und Pflaumen, dicht gefolgt von Karamell und Lebkuchen, denen wiederum Lederpolitur scharf auf den Fersen ist. Kakao, gehobeltes Eichenholz sowie leichte Kräuternoten unterstützen die Aromenpalette. (87)
Taste: Kakao und zähklebriger Pflaumensirup – ein Hauch von Weihnachten liegt in der Luft. Vor allem, weil auch eine angebrannte Karamell-Lebkuchen-Kombi mit dabei ist. Dann schreitet dicke Melasse ein und Kräuter verbreiten medizinische Anklänge. (80)
Finish: Zimt und Kakaopulver reiben sich an reichlich angekokeltem Eichenholz. Fruchtiger Pflaumensirup plant sein Comeback. Kaffee und Politur reihen sich thematisch nahtlos in den bisherigen Auftritt ein. (80)
Fazit: Pur etwas gewöhnungsbedürftig (Balance?), Assoziationen an Kräuterschnaps sind einfach nicht meins. Mit H₂O gefällt er mir besser und kann geschmacklich ansprechende Seiten zeigen. Insgesamt erwarten einen sehr intensive Eindrücke, allerdings mit der Komplexität eines 10-12-jährigen Standard-Single Malt.
Enmore 1988 Refill Barrel #9 bottled for The Whisky Jury & Whiskay 48,9%Vol.
Die Reifung fand von November 1988 bis Oktober 2021 in einem einzelnen Fass statt, das Ergebnis waren 181 Flaschen in Fassstärke. Dieser Rum wurde allerdings gefärbt, um zwar in 2007.
Nose: Deutlich leichter und fruchtiger als der ’92er, auch wenn die Datteln und Pflaumen sehr sirupartig rüberkommen. Walnüsse in Aprikosenmus geben noch ein gutes Bild ab, die dezente Kräuternote und Gummi sind dagegen etwas gewöhnungsbedürftig. (84)
Taste: Haufenweise Röstaromen, als wären in einem verrußten Backsteinkamin Kräuter und Kaffeebohnen verbrannt worden. Ölig wie eine Fahrradkette und nussig wie Kürbiskernöl. Getrocknete Aprikosen und Pflaumen treiben auf der gummiinfusionierten Melasse umher. (72)
Finish: Geröstete, fast schon angekohlte Kürbiskerne mit der seichten Bitterkeit von Apfel- und Traubenkernen. Zum ersten Mal bequemt sich auch das Eichenholz vorbei. Erneut klebrige Pflaumen und Andeutungen von Kräuterlikör. Irgendwo wurde ein abgestandener Espresso abgestellt. (74)
Fazit: Wäre das mein erster Enmore gewesen, dann wäre die Benotung deutlich niedriger ausgefallen und einen zweiten hätte ich nie angerührt. Aber so hat mich der vorherige Enmore einigermaßen sanft an dieses ansonsten sehr krasse Erlebnis herangeführt. Der Geruch verbreitet sich im ganzen Raum. Die spontane Beschreibung meiner Freundin: „Verbrannte Autoreifen, die mit Aprikosenmarmelade gelöscht worden sind.“
Versailles 1988 Corman Collins & The Auld Alliance 48,8%Vol.
Auch wenn dieser Rum in Enmore gebrannt worden ist, so trägt er doch den Namen der Destillerie aus der die Brennblase ursprünglich stammt, mit der er gebrannt worden ist. Das ist durchaus legal und gebräuchlich. Nach 34 Jahren wurde der Single Wooden Pot Still Rum in 2022 abgefüllt.
Nose: Eine sehr typische Ex-Bourbonfass-Nase – bis auf die Rumtöne. Honigsüße Vanille und wachsüberzogene Zitrusfrüchte mit ein paar Krümeln Shortbread. Nur zögerlich greift eine sanfte Kräuternote ins Geschehen ein, dazu auch wundervoll nussiges Eichenholz. Die Melasse wirft noch getrocknete Datteln und Birnen sowie Kaffee in den Topf. (88)
Taste: Das schmeckt schon mehr nach Rum. Der Fokus liegt auf der Melasse, vom Bourbonfass – ich gehe davon aus, dass es eines war – nehme ich einzig die Eichenholzaromen und die Bienenwaben wahr. Was schade ist, denn er wirkt dadurch ziemlich eindimensional. Immerhin mit den Kräutern kann ich mich ganz gut vertragen. Erinnerungen an Röstaromen werden geweckt… (73)
Finish: Wieder diese bis an die Schmerzgrenze geröstete Kürbiskerne. Einige Schwefelatome sind auch mit hineingeraten. Der weitere Ausklang wird vom Eichenholz getragen, eine leichte Melassesüße reitet darauf. (72)
Fazit: Spätestens jetzt sehe ich ein, dass Enmore nicht so mein Fall ist. Bedauerlich, nachdem der Start so vielversprechend war, aber meine Geschmacksknospen legen auch hier ein entschiedenes Veto ein.
Caroni 1997 SpSp 1st Fill Bourbon Barrel #1143 mit 62%Vol.
Caroni ist eine 2002 geschlossene Brennerei auf Trinidad. Gebrannt wurde mit einer Column Still. Dieses Einzelfass verbrachte die ersten 12 Jahre in der Karibik, bevor es nach Schottland transportiert wurde. Dort wurde es nach insgesamt 23 Jahren vom unabhängigen Abfüller Spheric Spirits ausgewählt. 111 Flaschen kamen in den Verkauf.
Nose: Ein angenehmer Blend aus Rum und Bourbon. Kräuter, aber dezent genug für meinen Geschmack. Rosinen und getrocknete Apfelringe ergeben zusammen mit Holunder und Nüssen eine sehr beschauliche Kombi. (86)
Taste: Hui, der Alkohol bringt ordentlich Power und lässt das Eichenholz umso würziger erscheinen. Das Holz ist überaus trocken, hat aber auch einen leisen Vanilletouch. Kräuter- sowie Gumminoten lassen wenig Raum für Trockenfrüchte und Nüsse. (71)
Finish: Der Wasserzugabe zum Trotz wirkt der Alkohol anfangs ziemlich betäubend. Dafür aber schön wärmend. Langsam kehren Eichenholz und Kräuter zurück, dazu auch einige geröstete Nüsse. (72)
Fazit: Der ist ganz schön sprittig und das bleibt er auch, wenn man nicht gerade 1:1 mit Wasser mischt. Die Aromen wirken alles andere als lebendig. Ein schräges Erlebnis, ich gehöre bestimmt nicht zur Zielgruppe.
Longrow 17 Jahre – Online Tasting Week May 2021
Five Fresh Rum Barrels bis 01.04.2021 / 50,5%Vol. / Link zur Whiskybase
Nach all den Rum in letzter Zeit sehne ich mich nach einer Abwechslung, nach etwas gewohntem. Um nicht ganz aus der Reihe zu fallen ein Longrow aus dem Hause Springbank, der seine Zeit in Rumfässern verbrachte, eine Vollreifung. Fünf Fässer ergaben 1025 Flaschen.
Nose: Nicht zu viel Rum und auch nicht zu wenig, es bleibt ein Malt, um zwar ein schön fruchtiger: Ananas, Apfel, Banane, Pfirsich, Melone, Waldbeeren… Honig und zarter Rauch versetzen an einen lauen Grillabend. Mineralien und Salz schweben in einer öligen Wolke darüber. (88)
Taste: Eine Assemblage aus angeröstetem Gerstenmalz und fruchtigem Rum, leicht und mit der ganzen tropischen Bandbreite. Das Eichenholz versorgt uns mit lebendigen Gewürzen, kräftig, wie nach 17 Jahren zu erwarten. Deutliche Salz- und Mineralakzente machen bereits jetzt Durst auf mehr. (86)
Finish: Erdig mit Eichenholz und Zündis, die Eindrücke sind eher trockener Natur. Rauch, Tabak und Salz belegen sanft, aber nachhaltig den Mundraum. Der Rum geht etwas auf Abstand, süßliches Harz unterstützt die Frucht. (87)
Fazit: Was für eine Wohltat! In dieser Form hab ich Rum doch erheblich lieber, als pur. Im Mund bleibt der Longrow ein klein wenig zurück, aber ansonsten überschüttet er einen geradezu mit zahlreichen, pointierten Aromen; vor allem im Vergleich zu Enmore & Caroni, bei denen alles ziemlich roh und schnörkellos daherkam.
Meine individuelle Zusammenfassung aller probierten Rum lautet: Riechen ja, Trinken eher nicht. Unter diesen Umständen muss lege ich mein Experiment erstmal auf Eis. Vielleicht bekomme ich ja bei Gelegenheit mal professionelle Hilfe von einem Kenner 😉
Samples privat gekauft | Bilder mit freundlicher Genehmigung von Patrick bzw. eigenangefertigt
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