Ein blindes Huhn…

Nein, in diesem Beitrag werde ich nicht über Korn schreiben^^. Vielmehr möchte ich eine kleine Blindverkostung folgender These gegenüberstellen: Beeinflusst es mich in der Wahrnehmung eines Whiskys, wenn der Name der Brennerei bekannt ist und mir beim Trinken folglich im Hinterkopf herumschwirrt? Definitiv, würd’ ich im Vorherein schätzen. Hat man einmal ein gewisses Maß an Erfahrung mit einer bestimmten Marke gesammelt, verknüpft man damit mehr oder weniger schnell auch Erwartungen. Im Marketing wird das oft zur Kundenbindung genutzt, natürlich auch außerhalb der Whiskyindustrie.

Vier verschiedene Mitglieder der Whisky-Community haben mir freundlicherweise vier Samples zukommen lassen, deren Inhalte mir völlig unbekannt sind. Demnach kann so ziemlich alles enthalten sein und ich kann unvoreingenommen probieren, denn die Auflösung werde ich mir erst im Anschluss ansehen.

Whisky 1

Nose: Rosinen, Kirschen und Trockenpflaumen deuten auf eine Sherryfassreifung hin, nussige Aspekte sind auch enthalten. Viel Vanille, Honig und Karamell. Der Eichenholzeinfluss wird sukzessive stärker, staubig und würzig, Zartbitterschokolade. Ölige Möbelpolitur, Apfel und brauner Kandis und Tee. (86)

Taste: Sehr geschmeidig mit Honig und getrockneten Früchten. Die Gewürze werden auf den Punkt genau sehr gut eingesetzt und von angenehmer Zartbitterkeit begleitet. Des Weiteren finde ich Tabak und Leder, Nüsse und Vanille, sowie Tee und Gerstenmalz. (86)

Finish: Sehr lang anhaltend und wunderbar ausbalanciert. Haselnüsse und die Trockenfrüchte vom Sherry reichen einander die Hand. Trockenes Eichenholz mit sanften Gewürzen und Leder bereiten den Ausklang vor. (88)

Fazit: Gleich am Anfang dachte ich: Glenfarclas. Dabei bleibe ich, auch wenn der Gedanke an Glengoyne regelmäßig dazwischengefunkt hat. Für ein Finish sind die Aromen zu gut eingebunden, deshalb war’s wohl eher eine Vollreifung im Refill Cask. Den Alkohol hab ich zu keiner Zeit bemerkt, trotzdem keine schwachen Momente, also 43-46%Vol. Und reif war der wirklich auch, vielleicht ein Standard aus vergangenen Tagen, 15 oder 18 Jahre?

Auflösung:

Glengoyne 12 Years, gebottled in den 90ern, 40,0%Vol. / Link zur Whiskybase

Whisky 2

Nose: Reich an Vanille, Rosinen, würzigem Eichenholz und Nüssen. Eine Wohltat, aber die Tiefe fehlt – vielleicht ein Blend? In jedem Fall wirkt es so, dass Whisky Nr. 2 vor noch längerer Zeit gebottled worden ist, als Whisky Nr. 1. Später kommen noch gelbe Früchte und Pilze hinzu. (81)

Taste: Im Prinzip wie die Nase, nur sind die gelben Früchte und Pilze sofort da. Anklänge von Melasse und Gummi, Alkohol ist fast keiner enthalten, aber vielleicht habe ich mich mittlerweile schon zu sehr an Fassstärke gewöhnt. (77)

Finish: Wal- und Haselnüsse übernehmen, Zimt und andere Gewürze machen auf das Eichenholz aufmerksam. Grasig und mit Nuancen von Sherry schließt er ab. (78)

Fazit: Mehr als 40%Vol. hat der nicht. Ein achtjähriger Blend aus vergangenen Zeiten, 70er oder 80er Jahre. Auf dem Gebiet kenne ich mich zu wenig aus, um konkreter zu werden.

Auflösung:

Marchants Extra Special Gold Label, gebottled in den 60ern, 43,0%Vol. / Link zur Whiskybase

Whisky 3

Nose: Süßes Frühstücksgebäck mit Vanillesauce und Rosinen wird in weichen Honig getunkt. Lakritz – da bin ich mir sicher! Vermischt sich ganz gut mit getrockneten Birnen und Aprikosen, ein wenig gesalzenes Karamell ist auch dabei. (78)

Taste: Auch hier süß und weich, mit dem ganzen Rosinensaft fast schon likörartig in der Textur. Das Eichenholz meldet sich zu Wort, neben würzigem Zimt hat es Vanille, bittere Süßholznoten und Karamell im Gepäck. Dazu getrocknete Birnen. (78)

Finish: Bittersüß zieht sich das hinaus, überall Lakritz. Würziges Eichenholz und Vanille bringen eine willkommene Abwechslung, genauso die grasigen Töne. (78)

Fazit: Es scheint, als ob ich mein Lakritz-Trauma aus der Kindheit noch nicht vollständig verarbeitet habe, sonst wären die Bewertungen etwas höher ausgefallen, denn die Süßholzaromen sind in den ansonsten tiefgangarmen Whisky zugegebenermaßen recht gut eingearbeitet. Ein naheliegender Kandidat wäre der Cutty Black 100 Proof (Link zur Whiskybase), wobei das Sample für einen Blend nicht smooth genug war. Vielleicht handelt es sich aber auch nur um irgendeinen mittelalten Tomintoul mit 46%Vol., bei dem irgendeine Art Rosinensaft beteiligt war, aber kein Sherry.

Auflösung:

Inchgower 2008-2016 Langside Distillers, Wine Hogshead Finish, 46,0%Vol. / Link zur Whiskybase

Whisky 4

Nose: Mild wie Honig und das bleibt durchgehend so. Süße Vanille und Orangenaroma steigen blumig aus dem Glas. Hefeteig und Haferflocken mit Andeutungen von Eichenholz. (79)

Taste: Erstaunlich würzig, hatte ich so nicht erwartet nach der Nase. Das Eichenholz hat dann doch deutliche Spuren hinterlassen; prickelnd, mineralisch, leicht bitter und grasig mit Elementen von Ingwer. Einzig die Vanille überrascht mich nicht. (80)

Finish: Angenehm würzig und malzig mit edler Zartbitterschokolade. Honigsüße Mandeln und trockenes Eichenholz. (80)

Fazit: Irgendwas aus Refill Bourbonfässern. Nach 10 bis 12 Jahren runterverdünnt auf Trinkstärke. Auf meinem Zettel stehen Glenlivet, Glenmorangie, Braeval und Balvenie. Aber einen heißen Tipp hab ich nicht.

Auflösung:

Braeval 1997-2020 SMWS 113.31, Refill Ex-Bourbon Hogshead, 58,1%Vol. / Link zur Whiskybase

Was ist passiert? Da ich nicht wusste, was im Glas ist – außer Whisky eben – hat mich der Ehrgeiz gepackt und ich wollte unbedingt „erschnüffeln“, worum es sich handelt. Diese Detektivarbeit ging allerdings zu Lasten des Genusses; ich habe es schlichtweg verpasst, mich fallen zu lassen und am Dram zu erfreuen. Solange ich diese Einstellung nicht ablegen kann, sollte ich mich von Blindverkostungen und den „Unnamed Secrets“ fernhalten. („Secret Orkneys“ sind ok ;-))

Im Bezug auf meine These muss ich zugeben: Wenn ich bei den vier verkosteten Whiskys die Eckdaten im Vorfeld gekannt hätte, dann wären meine einzelnen Einschätzungen aufgrund der beeinflussten Erwartungshaltung anders ausgefallen – mal positiv überrascht, mal enttäuscht, mal gelangweilt. Ich vermute, ich war insgesamt offener gegenüber dem Unbekannten.

Samples kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen | Bilder mit freundlicher Genehmigung von islay007 bzw. der Whiskybase