Fünf Jahre keinehalbendrinks.de – Gestern, heute, morgen?
Tobias: Seit fünf Jahren gibt es dieses kleine Blog nun. Unglaublich für mich, denn ich war mir zu Begin beim besten Willen nicht sicher, ob ich auch noch fünf Monate dabei bleibe. Mittlerweile ist es für mich eine feste Institution im Leben. Einmal die Woche gibt es ein Whiskyreview und dazwischen unregelmässig auch andere Beiträge. Doch wie kam es dazu? Was ist der Status quo? Und wo geht es vielleicht morgen hin? Hier folgt eine flüssige Retrospektive mit Perspektive von Tobias und Christian.
Gestern: Cocktails
Damit hat alles begonnen. Die Liebe zur Barkultur und zu GUTEN Cocktails. Ausprobieren, lesen, studieren, probieren. Eine wahre Kunst, deren Perfektion andere erreichen. Aber gerne waren wir die Gesellen im Sinne des Shuhari. Wie hat sich denn die deine Erfahrungskurve bei den Cocktails entwickelt?
Christian: XXL-Cocktails, groß, viel Alkohol (gerne auch viele unterschiedliche Arten). Zombie, Lectric Lemonade und Long Island Ice Tea aus dem 0,5l Glas. Ab 23:00 dann Magarita. Von dir wurde ich dann immer mit LIIT aufgezogen … und leider hattest du ja auch recht, der geht halt einfach garnicht. Heute habe ich wie bei Whisky ein sehr klares Profil. Fast ausschließlich Bourbon/Whisky-Cocktails aus deutlich kleineren Gläsern und gerne vintage Cocktails.. Neue Cocktails finde ich entweder in tollen Bars oder durch Cocktailbücher.
Tobias: Warum lesen wir dann eigentlich nicht wöchentlich ein Coktailrezept mit passendem Review und How-to von dir? Und viel wichtiger: Welchen Cocktail von dir trinken wir heute?
Christian: Ich verweigere die Aussage. Ok, es ist vielleicht das Gleiche wie bei dir: Mir fehlt die Zeit. Ich mache manchmal meiner Frau und mir oder uns beiden, wenn es mal wieder möglich ist, einen Cocktail. Aber richtig für das Blog… dazu fehlt mir aktuell wirklich die Zeit. Und meistens mache ich mir dann eher bekannte Sachen. Die will ich dann irgendwie auch nicht verbloggen. Ist ja nichts Neues. Für heute habe ich lange überlegt. Heute trinken wir auch oder dennoch etwas was mir mittlerweile sehr vertraut ist. Hier im Blog gabs ihn aber noch nicht: Wir trinken Singapur Sling.
Singapur Sling – Christians Cocktail
Warum? Erst wollte ich den Mother Law machen, einfach weil so ein unglaublich guter Vintage Cocktail ist. Dann wollte ich einen moderneren Cocktail machen den ich dann doch erst vor kürzlich im Buch Cocktail Codex entdeckt habe. Den Smokescreen. Lecker, frisch, Scotch. Das würde doch ganz gut passen. Doch irgendwie war mir der Smokescreen dann zu modern für die Retrospektive. Also wurde es doch ein Klassiker. Ein Cocktail, den ich selten woanders als daheim trinke, denn woanders ist er meistens ziemlich schlecht. Der Singapur Sling! Leider habe ich ihn noch nie in Singapur getrunken. Irgendwann werde ich das hoffentlich wirklich im Raffles machen können.
Unser Fazit: Passt gut zu Christians ursprünglichem Blick auf Cocktails: Viele unterschiedliche Alkoholsorten. Allerdings ist es hier einfach ein geniales und komplexes Gebilde, dass man dennoch problemlos und unverkopft trinken kann. Und wie schon im ersten Coktail-Blogbeitrag hier erwähnt: Gerade bei wohl bekannten und erprobten Cocktails lohnt es für sich selbst noch mal ein Stückchen tiefer zu blicken.
Christian: Nachdem ich hier ja einen Vintage Cocktail mit einer fruchtigen Note präsentiert habe. Geht es bei dir eher Richtung Moderne?
Tobias: Ich habe wirklich überlegt wie ich Vergangenheit und Zukunft verbinden kann. Ich wollte dann einen machen, den ich schonmal hier verarbeitet habe und ihn abwandeln. Dabei bin ich auf den Last Word gekommen, den ich mittlerweile ja lieber mit Mezcal trinke.
Octo-Mezcal Last Word – Tobias Cocktail
Christian: Echt jetzt? Das ist ja cool. Ich erinnere mich gut, dass du diesen immer gerne in der Vinatge Bar bestellt hast und ich dabei in meinen Mother in Law gelächelt habe. Ich habe in den letzten Monaten aber tatsächlich den Last Word für mich entdeckt. Das ist aktuell der letzte Neuzugang meiner Standardkarte. Toller Cocktail, aber warum nochmal mit Mezcal?
Tobias: Aus vielen Gründen. Ich finde Mezcal eine wunderbare Spirituose, mit der Fähigkeit ohne große Lagerzeit absolut zu überzeugen. Teilweise mit Qualitäten – Obacht jetzt kommt ein Affront – vom Whisky. Außerdem ist der Last Word ein fantastischer Cocktail und die Variante in der man den Gin durch Mezcal ersetzt gefällt mir noch besser. Und mal ehrlich: Beim Last Word hast du mir vorgeworfen ich hätte ihn dir über Jahre vorenthalten. Das will ich hier nicht nochmal hören.
Unser Fazit: Gefährlich trinkig. Der Mezcal ist im Gegensatz zum Gin beim Original nicht so vordergründig. Das Octomoreparfüm ist dafür ein Highlight beim Nosen. Das könnte ein Drink sein in dem man sich verliert. Fear and Loathing Style.
Heute: Whisky
Tobias: Sag mal, wann ist das eigentlich so dermaßen eskaliert mit uns und Whisky. Ich mein schau dich mal im Blog um. Da sind Whisky dabei, die werden die meisten Enthusiasten nie ins Glas bekommen…
Christian: … weil wir sie ihnen weggetrunken haben. Nein, Spaß. Gute Frage. Für mich ging das so schrittweise. Als erste Quelle für meine erweitere Whiskywelt waren da Whiskyfun und die Maltmaniacs. Dann kamst du noch mit Whiskybase. Parallel dazu die Messen, Nürnberg als Auftakt und Limburg dann als Offenbarung. Als dritten „Layer“ kann man dann fassstark.de (wo man übrigens auch genau heute am 07.04. Geburtstag feiert. Herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle), scotswhisky-community.de und whisky.de nennen. Plötzlich hatten wir Zugriff auf so viele unterschiedliche Abfüllungen und Samples. Wie sieht du das?
Tobias: Absolut. Für mich haben die Foren den größten Hebel dargestellt. Die Möglichkeiten sind am größten und die Vetrauensbasis ist sehr hoch. Die Messen waren dafür von der Wirkung her explosionsartig. Die Bereitschaft dort Geld auszugeben war von Jahr zu Jahr deutlich höher, weil wir plötzlich erkannt haben welches Potential uns da gegeben wird. Insgesamt muss ich sagen Whisky gibt mir eine unglaubliche Vielfalt, die vielleicht schon vergleichbar zu Cocktails ist. An Komplexität und Geschmack. Sicher nicht an Darreichung und dergleichen, aber beim Wesentlichen.
Christian: Ja, das ist spannend bei dir. Du kommst mit deinem Background beim Wein woanders her als ich. Das merkt man auch an den Beschreibungen. Da ist für mich aber schon ein echter Unterschied. Die Faszination beim Whisky kommt schon auch daher, dass ich eine Flasche aufmachen kann auch für echt viel Geld und ich diese aber über einen gewissen Zeitraum, mit entsprechender Pflege, immer dann trinken kann, wenn ein besonderer Moment gekommen ist. Ich habe also wirklich lange etwas davon.
Tobias: Besonderer Moment, das ist ein gutes Stichwort. Lass uns dieses Jubiläum ordentlich feiern. Ich hab gesehen, du hast eine Flasche mitgebracht. Wie kommt’s?
Christian: Ich finde besondere Momente verdienen es Flaschen zu öffnen, deshalb habe ich diesen alten 10 jährigen Laddi, den ich bei eBay Italien ergatterte, mitgebracht. Ich finde das ist ein guter Einstieg für heute.
Bruichladdich 10-years-old (bottled Ende 1980er)
Tobias: Seit Limburg vor ein paar Jahren sind wir beide total hocked auf alte Bruichladdich-Originalabfüllungen. Leider sind die nicht alle konstant gut. Manche Batches sind okay, andere total fantastisch. Mal sehen was wir hier haben. 10 Jahre alt und 43% stark. Da es eine 75cl Flasche für Italien ist können wir sicher sagen, dass sie vor 1990 abgefüllt wurde. Mehr aber auch nicht. Auf jeden Fall war sie schmutzig genug, um kein fake zu sein. Da muss man bei eBay ja gegebenenfalls aufpassen. Link zur Whiskybase gibts keinen. Der ist leider nicht eindeutig an einem Bottlecode odgl. identifizierbar.
Nase: Erdbeere und Vanille in der Nase. Das mag ich sehr bei den alten Laddi. Die Brombeerhecke steht irgendwo direkt daneben.
Mund: Ein Holzlöffel mit Honig und Malzsirup überzogen. Anfangs dickflüssig dann schnell dünner werden. Ein leichtes Säurespiel kommt dazu. Dazu luftiges Hefegebäck und Zitrusschalen.
Abgang: Golderner Honig ein paar Bitterstoffe und ein wenig (überraschender) Rauch. Leicht erdig geht es hinten raus und auch ein paar Nüsse sind zu finden. Die Fruchtnoten sind jetzt eher dritte oder vierte Geige. Mit etwas merh Luft kommt ein schönes Toffee dazu. Ein kleines Highlight zum Schluß.
Fazit: Sehr „old style“ und lecker. Sicher allerdings keine der Überfliegerflaschen die wir uns bei solchen Fängen wünschen. Die Nase hat mir am besten gefallen. 87/100
Christian: Ich finde das hat doch ganz gut gepasst und war ein schöner Einstieg, bevor es zum offiziellen Highlight geht, oder?
Bruichladdich 1970
Tobias: Genau. Das „offizielle“ Highlight: Laut Serge Vallentin einer der besten Bruichladdich die jemals produziert wurden. 31 Jahre in der Flasche und im Jahr 2002 ausgegeben. 44,2% ist er nach der Lagerung in „Oak Casks“ noch. Bei dieser Flasche handelt es sich um die 750ml Variante für den amerikanischen Markt. Link zur Whiskybase
Nase: Weinbeeren, Weingummis, Erdbeeren, Blaubeeren, ein wenig Kräuter darunter. Zitronenmellisse, Menthol, Minze, wunderbare italienische Weine. Tignianello, Brunello, … Dann geht es über zu tropischen Früchten. Papaya, Guave, Melone, das hört alles gar nicht mehr auf.
Mund: „Spicy Marmalade“. Im ersten Moment ein wenig Pfeffer und rotfruchtige Marmelade. Dazu kommen ein paar Bitterstoffe und wunderbares Vanillegebäck. Einige würzige Noten dazu. Hach. Der Obstkorb lässt uns auch nicht los. Auch hier gibt es wieder exotische Früchte, nur ein wenig leiser wird es dabei langsam.
Abgang: Im Abgang gibt es eine Reminiszenz auf die bisherigen Notes mit einer weitern Komponente: Tabak. Das passt ganz grandios! Dann gibt es auch noch Kaffee und dunkle Schokolade. Komm unerwartet und trifft dich wie ein Truck.
Fazit: OMG! Das ist einsame Spitze. Ich durfte ihn jetzt bereits zum zweiten Mal verkosten und es ist einfach ein Traum. Ich bin sehr froh, dass wir diese Flasche dem Auktionsmarkt entreissen und in der Whiskygemeinschaft teilen konnten. 94/100
Christian: Auch wenn es kein Port Charlotte ist, was ja per se schon mal einen Punkt Abzug gibt ist der wirklich wahnsinnig gut 93/100).
Tobias: Wollen wir vielleicht noch ein wenig zurück gehen in der Zeit? Ich hab da ein kleines Fläschchen von so einem netten Kerl als Glasgow…
Greer’s Old Vatted Highland (bottled ca. 1950er)
Ha, Highland! Das steht da vielleicht drauf. Greer’s hat aber in seinen Blends (auch) St. Magdalene verwendet. Darum ist dieser Whisky hier auf der Geburtstagsfeier. Danke Tomas! Aus den 1950ern und ohne jegliche weitere Angaben. Kein Alkoholgehalt oder sonst irgendwas. Einen Link zur Whiskybase gibt es auch hier nicht. Das Ding findet man dort nicht.
Nase: Fette und Öle. Motoren, Öllampen, Öllappen. Dazwischen Gräser, Malz und Zitrone. Kann irgendwas mehr St Magdalene schreien? Ich denke nicht! Da ist auch noch Vanille irgendwo. Und helle Früchte. Boah!
Mund: Vulkansalz geschöpft direkt an der Grasnabe. Ein mächtiger Honig wird auf das Salz gekippt. Dazu Malz, Kräuter, Gras. Das Ganze dann destilliert und dann geräuchert. Oder umgekehrt. Egal.
Abgang: Hach ich komme gar nicht mehr aus dem Schwärmen raus. Gras und alles petrochemische was man sich so vorstellen kann. Das ist einfach so gut!
Fazit: Es ist genau mein Ding. Ich liebe es. Punkt. Klar ist der etwas eindimensionaler, dafür kann man ich mir den für den Alltag viel besser vorstellen. Muss ich wohl mal auf die Suche gehen… 93/100
Christian: Schon episch, dass wir so etwas trinken dürfen und um so schöner das er auch einfach richtig gut ist 92/100 Was für ein Tag! Apropos Alltag. Wie geht es denn morgen weiter?
Morgen?
Tobias: Tja, wie geht es weiter mit „Keine halben Drinks“? Ich weiß es nicht. Für den Moment sind aber schon einige Dinge sicher: Das Fokusthema Whisky wird bleiben. Denn es ist meine aktuelle Passion und da will ich nicht locker lassen. Auch die Unabhängigkeit möchte ich mir erhalten. Ich habe kein Problem damit mal ein Sample anzunehmen und dann auch ein Review darüber zu schreiben. Aber sicher nicht als Auftragsarbeit mit Zeitpunkt und Marketingsprech. Da bleibe ich mir treu und ehrlich.
Veränderungen wird es aber sicher auch geben. Ich hab auch schon ein paar Dinge unterwegs ausprobiert und das werde ich sicher auch wieder machen. Ich hatte schon an Kollaborationen mit anderen Blogs oder Interviews gedacht. Mal sehen was die Zukunft bringt. Konkret ist da noch nichts. Und du so Christian?
Christian: Was sich für mich bei Whisky geändert hat und das ist das interessante für „morgen“: Ich muss heute einen Whisky blind kaufen, auf Verdacht, sonst ist er weg. Da helfen uns Flaschenteilungen ungemein. Ich kann eine Flasche kaufen und mich an einer Teilung zu beteiligen um dann eine Entscheidung zu treffen. Das ist der Markt heute. Bezüglich keinehalbendrinks.de würde ich wirklich gerne wieder aktiver werden. Tasting Notes sind aber scheinbar nicht mein Ding. Meistens endet das darin, dass ich drei Zeilen schreibe mit einem simplen Fazit ja/nein/vielleicht. Das halte ich gerne für mich persönlich fest, aber da bringen deine Notes wahrscheinlich mehr. D.h. ich suche mir (vielleicht) eine andere Nische. Mal sehen was da möglich ist. z.B. wenn ich mal wieder reisen darf.
Danke
Tobias: Das war unsere kleine Jubiläumsfeier. Eines möchte ich nicht vergessen, bevor ich Gläser spüle und aufräume: Danke sagen.
Wenn ich eine Liste machen müsste, sie würde lang. Unterstützer, Seelenverwandte, Nerds, tolle Menschen in der Industrie, unabhängige Abfüller, meine Local Dealer, … es sind so viele. Nicht zuletzt auch die Leser hier. Es macht mich natürlich schon stolz gelesen zu werden und noch mehr auch mal ein Feedback zu kriegen. Übrigens immer gerne an tobias(at)keinehalbendrinks.de. Das macht dieses Hobby noch wertvoller. Auf die nächsten Drams und Jahre!
Bilder: Eigene Anfertigung | Samples: Eigene Flasche und ein Geschenk vom wunderbaren Tomas, thank you so much!
P.S.: Falls sich jemand wundert: Ja, wir waren ausnahmsweise nicht online unterwegs. Natürlich absolut infektionsschutzgesetzkonform, mit Lüften, vorher testen und Einhaltung der Sperrstunde. 😉
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