Noch ein blindes Huhn

Eine Blindverkostung. Mache ich inzwischen eigentlich ungern, aber ein Kollege weiß, dass er mich damit ärgern kann. Bei Gelegenheit werde ich mich revanchieren, bis dahin gönne uns den Spaß. Im Vorfeld war mir nur so viel bekannt: Bei allen vier Samples handelt es sich um schottische Single Malts, davon stammen zwei aus derselben Brennerei.

Whisky 1

Nose: Ein aktives Bourbonfass! Süße Vanille und süßer Honig, sogar mit ein wenig Wachs. Zimt und Nelken sind die Vorboten von feinwürzigem Eichenholz. Biskuit und Zuckerwatte leiten über zu intensiven Gletschereis-Bonbons. Später sind Früchte wie Banane, Apfel oder Nektarine zu entdecken. (84)

Taste: Pfeffrig scharf im Antritt, das nivelliert sich aber recht schnell auf ein vertretbares Maß und die kräftigen Bourbonnoten – Vanille, Bienenwaben, Banane – sind zurück. Gerstenmalz und tanninreiches Eichenholz setzen sich gut in Szene, der Dram wirkt schon recht reif. (84)

Finish: Das Eichenholz übernimmt die Führung, trocken sowie reich an Gewürzen und Kakao entfaltet sie sich. Nüsse, Gras und Vanille gestalten ein angenehm langes Fade-Out, in dessen Zug die Banane nochmal aufploppt. (85)

Fazit: Beim zweiten Glas sind die Bourbon- & Gletscheraromen nicht mehr so ausgeprägt und die Früchte lassen nicht so lange auf sich warten. Im weiteren Verlauf zeigt sich ein simples, aber funktionierendes Profil. Altersmäßig schätze ich ihn eher auf 12, allerhöchstens 15 Jahre ein, bei einem Alkoholgehalt von 43-46%Vol.. Den könnte man mir durchaus als Glenburgie oder Glenkinchie verkaufen.

Auflösung:
Eine Flasche 10-jähriger Glencadam aus dem Standardsortiment der Brennerei.

Glencadam 10 Jahre, 46,0%Vol. / Link zur Whiskybase

Whisky 2

Nose: Warme Orangennoten werden in watteweichen Rauch gehüllt. Salz und Vanille unterstützen das schwächliche Eichenholz. Die Stimmung ist cremig und leicht süßlich wie bei Zitroneneischnee. (80)

Taste: Vanille und milde Zitronen werden überrollt von rußigen Rauchschwaden und geröstetem Gerstenmalz. Salz, Muscheln und würziges Eichenholz versuchen, das cremige Momentum wieder aufzugreifen, aber es bleibt doch recht dünn. (79)

Finish: Trockenes, pfeffriges Eichenholz bahnt sich einen bitteren Weg durch den Aschehaufen. Salz, Zündhölzer und Ruß verharren beständig. (77)

Fazit: Sonderlich viel ist da noch nicht los, außer Rauch. Vielleicht ein junger Original-Lagavulin aus dem Refillfass? Für Islay wirkt er allerdings zu zahm, aber eine bessere Idee fehlt mir gerade. Jedenfalls bewegen wir uns hier im Trinkstärkebereich, ca. 43% Vol., sowie schätzungsweise 8-10 Jahren Reifezeit.

Auflösung:
Eine Flasche MacDonald's Traditional der Brennerei Ben Nevis.

Ben Nevis MacDonald’s Traditional, 46,0%Vol. / Link zur Whiskybase

Whisky 3

Nose: Ein eher delikates und leichtes Profil, ich denke da an Refill Bourbonfässer. Cremiger Blütenhonig, Vanille und einige Nüsse werden auf einem bescheidenen Eichenholzbrett serviert. Gerstenmalz und Zitrustöne schauen gelegentlich vorbei. (82)

Taste: Älter und mit mehr Stehvermögen, als in der Nase. Gerstenmalz und Eichenholz führen die Regie, Gewürze und schokoladig-cremige Bitterstoffe inklusive. Beim genaueren Hinschmecken fallen die vielen Nüsse auf. Etwas Orange schwingt im Hintergrund mit. (83)

Finish: Hier wirkt das Gerstenmalz ein bisschen süßlicher, wachsige Elemente sind mit von der Partie. Mandeln und Eichenholz kreieren ein unterhaltsames Zwiegespräch zwischen Würze und grasiger Frische. Vanille als i-Tüpfelchen. (83)

Fazit: Dem Whisky Nr. 1 recht ähnlich, daher werfe ich erneut Glenburgie und Glenkinchie in den Ring. Im direkten Vergleich wirkt er ausgewogener und ruhiger, fast schon ein wenig leise. Altersmäßig nicht ganz 15 Jahre, aber vielleicht knapp darunter. Beim Alkoholgehalt reiche ich mal wieder die 43% als Tipp ein.

Auflösung:
Ein Inchgower aus 2007 von Gordon & MacPhail in der Umverpackung.

Inchgower 2007 GM, 1st Fill Sherry Butt bis 24.11.2016, 46,0%Vol. / Link zur Whiskybase

Whisky 4

Nose: Die Farbe hat den Sherry angekündigt und da isser auch schon, Rosinen und Waldhonig. Nussschokolade kommt hinzu und spinnt die vollen Sherryaromen weiter. Eine Prise Salz stimmt auf die nachfolgenden Gewürze ein. (84)

Taste: Das Eichenholz erfreut mit sehr samtiger und lebendiger Würze. Der Sherry scheint gut integriert, leicht ölig mit feiner Säure. Eine große Portion vom Waldhonig lenkt den Fokus weg vom Sherry, bevor es mit Orange, gesalzenem Leder und Tabak wieder langsam zurückgeht. (84)

Finish: Wellen von warmen Orangennoten und Karamell branden auf würziges Eichenholz. Dann wird es nussig, ledrig und salzig. Den Abschluss machen dünne Wachsplättchen und Kiefernharz. (85)

Fazit: In seinen guten Momenten hat der Sherry den Charme von Oloroso, zu manchen Zeiten erinnert er aber an die neumodischen Sherrybomben von Edradour. In Kombination mit Salz und Tabak denke ich da allerdings eher an Glengoyne, Dalmore oder auch Blair Athol. Etwa 46% Alkohol, beim Alter tue ich mich schwer, vielleicht 15 Jahre.

Auflösung:
Eine Flasche Ben Nevis von Signatory Vintage, destilliert am 17.10.2013 und abgefüllt am 03.05.2022
Das Etikett der Flaschenrückseite mit der Beschreibung der verwendeten Fässer: Refill Hogshead Nr. 417 & 424 sowie Finishes in den Sherry Butts Nr. 13 & 16

Ben Nevis 2013 SV Small Batch Edition #11, 2 Refill Hogsheads & 2 Sherry Butt Finishes bis 2022, 48,1%Vol. / Link zur Whiskybase

Eine interessante Runde! Nr. 1 und Nr. 2 hatte ich vor etlichen Jahren tatsächlich schon mal im Glas, allerdings eben frühere Versionen dieser Abfüllungen. Damals hatte ich Nr. 2 um Längen besser eingeschätzt, während mir Nr. 1 wiederum dieses mal besser geschmeckt hat. Nr. 3 sowie Nr. 4 hätte ich bewusst vermutlich nie probiert, zu jung auf dem Etikett. Umso interessanter, dass beide auf mich älter gewirkt haben, als sie eigentlich sind.

Samples kostenfrei zu Verfügung gestellt bekommen | Bilder eigenangefertigt bzw. mit freundlicher Genehmigung der Whiskybase